Ein Ticket für ein Jahr im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu ergattern, wünschen sich jedes Jahr weit mehr als 1.000 Jugendliche in Deutschland. 299 von ihnen, nämlich pro Bundestagswahlkreis einer oder eine, erhalten so ein USA-Stipendium im Rahmen des Parlamentarischen Patenschafts-Programms (PPP), das 1983 vom Amerikanischen Kongress und vom Deutschen Bundestag vereinbart wurde. Gerade jetzt im Januar habe ich Svea Hähling aus Wohlde für das Austauschjahr 2020/21 ausgewählt.

Auch aus den USA kommen ca. 250 High School-Absolventinnen und -Absolventen zu uns. Einer von ihnen ist Jonathan Ellens aus Long Beach, Californien. Der 19-Jährige verbringt sein Deutschland-Jahr auf dem landwirtschaftlichen Ferienhof von Andreas und Karin Martens im beschaulichen Schwensby. Wie fühlt sich ein Jugendlicher, den es aus einer Stadt mit 450.000 Einwohnern in die ländliche Idylle Angelns verschlägt, habe ich mich gefragt und Jonathan und seine Gasteltern besucht.

Karin und Andreas Martens haben selbst eine besondere Beziehung zu Austauschprogrammen, wie sie verraten. Bei den Vorbereitungen der eigenen Aufenthalte in Australien und Neuseeland lernten sie sich Anfang der 80er Jahre in Bonn kennen. Sie animierten auch ihre eigenen Kinder, andere Länder kennen zu lernen und nahmen selbst schon zwei Mal Stipendiaten aus dem PPP auf. Wie sie nimmt Jonathan komplett am Familienleben teil und übernimmt auch kleine Pflichten, wie die Öfen mit Holz zu versorgen, oder den Rasen zu mähen. „Ich mache das gerne“, sagt der sympathisch-aufgeschlossene Amerikaner, der sich mit nur drei Jahren Deutschunterricht sehr gut ausdrücken kann.

„Die Umstellung ist gar nicht so schlimm“, sagt Jonathan. „Klar ist das Bild vieler Amerikaner über Deutsche von Lederhosen geprägt; das ist hier im Norden natürlich ganz anders. Die Leute sind total nett und am Bernstorff-Gymnasium haben sie mich sogar in die Schülervertretung gewählt. Überhaupt ist hier alles viel freier, aber jeder ist auch für sich selbst verantwortlich. Das kennen wir in den Staaten so nicht. Jede Hausaufgabe z.B. muss dem Lehrer bei uns vorgezeigt und von ihm abgezeichnet werden. 60 Prozent fließen so in die Benotung ein. Hier in Deutschland liegen mindestens 60 Prozent auf der mündlichen Beteiligung.“

Er sei wegen der Sprache und der Kultur nach Deutschland gekommen. Immerhin sei jeder zweite Wikipedia-Eintrag auf Deutsch. Als Politikerin interessierte mich natürlich, wie Jonathan zu seinem Präsidenten steht. „Ich denke, Trump ist kein kluger Mensch“, antwortet der Amerikaner vorsichtig, der in seiner Heimat aktiver Volleyballspieler ist. „Wir haben ja leider nur zwei Parteien in den USA. Da ist es so, dass die meisten einen der beiden Spitzenkandidaten hassen. Dann wählen sie den Kandidaten der anderen Partei.“ Ich denke mir dabei, dass die Möglichkeiten in den USA doch nicht ganz so unbegrenzt sind. Auch wenn einem bei unseren Parteien manchmal graue Haare wachsen, auf die Meinungsvielfalt in unserem Land möchte ich nicht verzichten.